Gespräch mit Elektroplaner Frank Westerbarkei zu neuen Konzepten am Beispiel Grünheide Bielefeld

„Energiewende verändert das Denken und Bauen“

Im Bielefelder Wohnquartier Grünheide werden bald 90 Prozent der für Heizung und Warmwasser benötigten Energie vor Ort erzeugt. Trotz Photovoltaik auf nahezu allen Dächern und Batteriespeichern in jedem Keller der 28 Mehrfamilienhäuser reicht der Strom für alle anderen Anwendungen jedoch nicht. Für die ganze Siedlung mit knapp 700 Wohneinheiten bräuchte es ein mittelgroßes Windrad, um den rechnerischen Bedarf zu decken. Doch daran ist mangels nötigen Abstands am nordöstlichen Stadtrand von Bielefeld-Mitte nicht zu denken. Wie sehr die Energiewende das Denken der Planer und Bauherren verändert, darüber sprechen wir mit Dipl.-Ing. Frank Westerbarkei. Er ist der für die Grünheide zuständiger Elektroplaner im Bielefelder Ingenieurbüro Schröder & Partner.

 

Die Energiewende ist in vollem Gange, wie weit sind wir auf dem Weg vom Verzicht auf konventionelle Energieträger hin zur Nutzung erneuerbarer Energien?

Westerbarkei: Die grün erzeugte Energie reicht derzeit rechnerisch für 50 Prozent des Bedarfs. Doch sie steht noch nicht dort zur Verfügung, wo sie gebraucht wird. Und auch nicht jederzeit. Es wird immer mehr Strom gebraucht aber immer weniger erzeugt. Statt billiger zu werden ist der Strom gerade so teuer wie nie. Die Netze können noch nicht, was sie können sollen. Selbst bei den Neubauten werden heute noch viele Fehler gemacht. Ich denke, wir haben gerade einmal ein Fünftel des Weges – 20 Prozent – hinter uns.

 

Wie entwickeln sich gerade der Verbrauch und die Erzeugung?

Westerbarkei: Vereinfacht erklärt, steigt der Verbrauch von Strom nach wie vor. Immer mehr Geräte werden angeschlossen, denken Sie nur an Wärmepumpen, Lüftungsanlagen oder E-Autos und E-Bikes. Die Effizienz neuer Technik nimmt zu, das bremst den Zuwachs beim Verbrauch aber nur gering. Gleichzeitig sinkt die Strom-Produktion in Deutschland, Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke werden abgeschaltet aber für den Ersatz nötige Gaskraftwerke wurden bisher nicht gebaut. Wir werden im Ausland zukaufen müssen.

 

Welche Rolle messen Sie als Experte dem Strom in der Energiewende zu?

Westerbarkei: Strom gilt wie Erdgas als Brückentechnologie zwischen Kernkraft und Kohle auf der einen sowie den erneuerbaren wie Umweltwärme, Wasserkraft, Sonne und Wind und neuen Energien wie Wasserstoff auf der anderen Seite. Hinzu kommt die Vision, dass wir künftig auch mit Strom heizen, weil Sonne und Wind keine Rechnung schreiben.

 

Wie weit sind wir beim Umbau von Erzeugung und Verteilung?

Westerbarkei: Experten wünschen sich eine dezentrale Erzeugung, möglichst nahe an den Orten, wo der Strom genutzt wird. Aber unsere bestehenden Netze sind wie die Wurzeln eines Baumes ausgelegt auf die Distribution von Strom von den Kraftwerken zu den Steckdosen in jedem Haushalt, sie werden von Punkt A zu Punkt B immer dünner. Künftig werden die Netze höhere Mengen an Strom in jede Richtung transportieren können müssen. Das braucht ein umfangreiches Lastmanagement, eine Erneuerung der Netze und auch eine andere Art des Bauens.

 

Was meinen Sie mit „eine andere Art des Bauens“?

Westerbarkei: Wenn ein neues Wohnquartier, wie die Grünheide, künftig mehr Strom braucht, müssen die Trafos und die Hausanschlüsse deutlich größer ausgelegt werden. Gleiches gilt auch für die Verteilung in und am Gebäude. Denken Sie nur daran, dass man heute für jeden zehnten Pkw-Stellplatz eine Ladestation plant, morgen bereits für jeden dritten und künftig vielleicht für jeden. Stellen Sie sich einmal die Menge Strom vor, wenn abends alle von der Arbeit kommen und ihre Auto-Akkus ans Netz hängen. Die höheren Verbrauchsspitzen erfordern auch ein intelligentes Lastmanagement nicht nur in den Zentralen der Netzbetreiber, sondern auch in allen großen Gebäudekomplexen wie Fabriken oder Wohnquartieren. Der Regelaufwand wird extrem steigen. In der Grünheide haben wir vieles bereits größer dimensioniert, viele Leerrohre verlegt und eine Laststeuerung in jedem Gebäude installiert.

 

Nicht wenige fürchten sich vor einem Blackout als mögliche Verwerfung der Energiewende. Müsste man heute für ein neues Wohnquartier nicht auch eine Notstromversorgung planen?

Westerbarkei: Könnte man, machen aber die wenigsten Bauherren. Vieles ist technisch möglich, aber für jeden Bauherren gilt das Dekret der Wirtschaftlichkeit. Die Technische Gebäudeausrüstung ist eine Investition, die sich nur in Teilen rechnet. Eine 100-prozentige Versorgung eines Quartiers oder eines Produktionsbetriebs ist von innen derzeit noch nicht darstellbar, auf absehbare Zeit geht es nicht ohne einen Anschluss an die örtlichen Netze.

 

Ein Problem, dass Sie mit Hilfe von Juristen geklärt haben, ist der Verkauf von im Quartier erzeugten Strom an die Mieter. Was war so schwierig daran?

Westerbarkei: Um das zu erklären, reicht der Platz hier nicht. Die juristischen Hürden sind hoch, der Aufwand, scheinbar Einfaches rechtlich sicher zu machen, ist enorm groß. Deutsche Gesetze schützen die etablieren Stromversorger und machen es den neuen Erzeugern schwer. Das können unsere Nachbarn in Europa längst besser, hier bremst die Politik die eigene Energiewende aus.

 

Was verändert sich beim Bauen noch, was müsste sich ändern?

Westerbarkei: In einer Phase des energetischen Wandels müssen wir in Alternativen denken, Technik braucht mehr Platz in den Plänen der Architekten. Steigeschächte, Hohlraumdecken oder-böden, größere Räume für die Gebäudetechnik sind gefragt. Große Wohnquartiere sollten eigene Verteilnetze bekommen, direkt an die Mittelspannung angeschlossen werden. Und Glasfaser bis ins Haus und ein Datennetzwerk in jeder Wohnung finde ich auch wichtig. Zumindest bis der neue Funkstandard 5G die leitungsgebundene Datenübertragung ganz überflüssig macht.

 

Zurück zum Anfang: Wie bewerten Sie als Elektroplaner das aktuelle Handeln der Politik?

Westerbarkei: Die Politik bestimmt jetzt die Rahmenbedingungen und bestimmt durch Restriktionen oder Förderung die Konzepte der Planer und das Handeln von Bauherren. Ich wünsche mir zum einen eine ruhigere Hand für mehr Planungssicherheit sowie bessere Rahmenbedingungen für sinnvolle technische Lösungen. Zugunsten der Versorgungssicherheit wäre es mir lieber, man würde zuerst neues errichten, bevor man altes einreißt. Wollen kann man viel, die Physik überlisten jedoch nicht.