Grünheide Bielefeld: Interview mit dem Projektierer Lars Esser-Carius

„Bezahlbarer Wohnraum erfordert Beschränkung auf das Wesentliche“

Günstig zu bauen ist in Deutsch­land derzeit nicht möglich: Hoch sind die gesetzlichen Anforde­rungen. Hoch sind die Preise für Baugrund. Hoch sind die Kosten für Material und Arbeit. Hoch sind die Erwartungen der künftigen Be­wohner und der Politik. Gibt es noch Wege, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Ja, sagt Lars Esser-Carius, Investor des Bielefelder Wohnquartiers Grünheide (700 Wohnungen). Dafür müsse sich jedoch die Art zu bauen verändern.

Der Bundeskanzler und die Bundesbauministerin haben vor wenigen Tagen bekräftig, „bundesweit 400.000 neue Wohnungen pro Jahr“ doch noch zu schaffen. Ist das machbar?

Esser-Carius: Bei allem Optimismus, nein. Das kann auf keinen Fall gelingen und das weiß auch die Regierungsspitze. Und das hat gleich mehrere Gründe: Erstens liegen die aktuellen Baukosten um rund 25 Prozent über dem Niveau der letzten Jahre. Zweitens hat die Bundesregierung die Förderung für ökologisch sinnvolles Bauen von einem Tag auf den anderen auf null gesetzt. Drittens haben sich die Bauzinsen vervierfacht. Und letztlich fehlen nach wie vor Tausende Fachkräfte auf dem Bau. Führende Volkswirte gehen davon aus, dass deshalb künftig nicht einmal 100.000 neue Wohnungen pro Jahr entstehen.

Es gab viel Wirbel um die Wohnbauförderung: Erst wurde die KfW55-Förderung überraschend eingestellt, dann die Effizienzhaus40-Förderung gedeckelt. 17 Stunden später war der neue Fördertopf leer. Was geht noch ohne eine staatliche Neubauförderung?

Esser-Carius: Viel weniger. Viele Projekte liegen schon auf Eis. Andere Investoren werden weiterbauen, nur letztlich wohl keine preiswerten Wohnungen mehr. 

Wie wird man künftig zu mehr Wohnraum kommen?

Esser-Carius: Bei uns in Deutschland ist das Bauen so teuer, weil wir die europaweit höchsten Bauauflagen haben. Aus meiner Sicht muss der Staat die Bauherren entweder mit einer angemessenen Förderung unterstützen oder die technischen Regelwerke von Unnützem entrümpeln.

Was meinen Sie damit?

Esser-Carius: Mein Lieblingsbeispiel ist eine 24 Zentimeter starke Dämmung der Außenwände, damit ein Gebäude dem EH40-Standard entspricht. Dabei wissen alle Experten, dass bei 16 Zentimetern Dicke der maximal sinnvolle Nutzen erreicht ist. Mehr geht physikalisch nicht.

Was genau machen Sie jetzt als Investor der Grünheide?

Esser-Carius: Wir arbeiten aktuell an einem Konzept, welches das Bauen auf allen Ebenen vereinfacht: Das fängt bei reduzierten Raumgrößen an, geht über eine angemessene Wärmedämmung und eine Begrünung der Balkone, die im Sommer Schatten spendet und im Winter die Sonne ins Haus lässt. Dank unseres maximal regenerativen Energiekonzepts werden wir auch eine Warmmiete unter Verzicht auf teure Messtechnik prüfen. Aktuell kann man nur noch durch eine Beschränkung auf das Wesentliche bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Was werden die künftigen Mieter dazu sagen?

Esser-Carius: Wir gehen davon aus, dass viele Mieter die Bezahlbarkeit einer Neubauwohnung höher bewerten als eine Luxus-Ausstattung.

Wie sehen die nächsten Baugebiete im Land aus?

Esser-Carius:  Meines Erachtens werden mit dem Ziel, möglichst viel Wohnraum auf möglichst wenig Fläche zu errichten, nahezu ausschließlich Mehrfamilienhaus-Siedlungen entstehen. Das könnten im großstädtischen Kontext sogar wieder Hochhäuser werden, in eher ländlichen Strukturen jedoch besser nicht. Aber auch dort wird man über zwei Geschosse hinausdenken müssen.

Was sollten Lokalpolitiker und örtliche Bauämter tun, wenn Sie ein neues Wohnquartier entwickeln wollen?

Esser-Carius: Ein fachlich gut vorbereiteter Architekten- und Entwicklerwettbewerb – und zwar möglichst vor der Aufstellung des Bebauungsplanes – ist meines Erachtens nach wie vor der richtige Angang. Gefragt sind nachhaltige Konzepte mit hoher architektonischer und energetischer Qualität.

Würden Sie der Politik einen oder mehrere Investoren empfehlen?

Ich würde ein neues Wohngebiet ganz in die Hände eines Investors zu geben, der darin auch für sich selbst baut. Sonst droht schnell gestalterisches oder technisches Flickwerk.

Pläne können schnell begeistern, wie prüft man als Politiker einen möglichen Investor?

Esser-Carius: Dafür muss man Objekte besuchen, die der schon gebaut hat. Fachleute sehen auf den ersten Blick, wo ebenso zeitgemäße wie werthaltige Konzepte realisiert wurden. Als ein Reiseziel empfehlen wir gerne unser innovatives Klimaschutzquartier Grünheide in Bielefeld.